Umbau nonstop, Transformation ist immer!

Volkwin Marg

On the occasion of the opening of the exhibition UMBAU. Nonstop Transformation on 4.3.2024 at the AIT-ArchitekturSalon in Hamburg (in German only) Reparieren, Umbauen, Anbauen, Aufbauen – diese Strategien demonstriert die Bau- und Architekturgeschichte seit biblischen Zeiten. Das Bauen ist seit jeher eine ständige Metamorphose vom Alten zum Neuen. Ich habe nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs miterlebt, was meiner Generation auch im täglichen Leben im kleinsten Maßstab selbstverständlich war: das Stopfen von Strümpfen, das Auftragen von Klamotten älterer Geschwister, das Neubesohlen von Schuhen, das Umschneidern von Uniformen in Jacken und Hosen – das Reparieren von allem im Haushalt, was noch brauchbar war.

Wie im Kleinen war es auch im Großen. Die Städte warenzerstört, aber alte Fundamente und Ruinen taugten zum Bauen. Alte Ziegel und Steine wurden abgeklopft und für den Wiederaufbau verwendet. Es war die Zeit der Trümmerfrauen, die das Stadtbild prägten. Es war eine Zeit der Not und des Mangels an allem – nicht unsere hedonistische Wohlfahrtsgesellschaft im Warenüberfluss, verbrauchsversessen, nur fürs Heute lebend. Der Verzicht auf entbehrlichen Komfort und die Bereitschaft zu solidarischer Arbeit waren damals selbstverständlich und mit Zuversicht auf die Zukunft gerichtet.

Nach der Kriegskatastrophe wurde das geflügelte Wort Friedrich Schillers zum Motto der 1950er-Jahre beim unglaublichen Wiederaufbau unsererzerstörten Städte: „Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit, und neues Leben blüht aus den Ruinen.“

Reparatur, Umbauund Weiterbau prägte damals trotz aller Not und allen materiellen Mangels das Bemühen um kulturelle Kontinuität in Vorsorge für eine bessere Zukunft. Es ging um den Erhalt des kulturellen Erbes, getreu dem Leitspruch des Philosophen und Friedensforschers Carl Friedrich von Weizsäcker: „Tradition ist bewahrter Fortschritt, Fortschritt ist weitergeführte Tradition.“ Reparieren, Umbauen und Weiterbauen verlangt für den zukünftigen kulturellen Fortschritt nicht nur die Verwertung des materiellen Bestandes, sondern auch die Fortschreibung der tradierten kulturellen Errungenschaften der Vergangenheit, also die Fortschreibung bewährter Baukultur.

Das Bauen im Bestand darf also nicht allein eine Frage technischer Notwendigkeiten, materieller Sparsamkeit und klimatischer Erfordernisse bleiben, sondern muss zugleich vielmehr als ästhetische Herausforderung zur Schaffung architektonischer und urbaner Kultur betrachtet werden. Vor über zehn Jahren war das Bauen im Bestand schon einmal Thema einer von uns konzipierten Ausstellung im Fagus-Werk in Alfeld, 1911 entworfen von Walter Gropius, – ihr Titel: Bauen auf alten Fundamenten. Denn schon Gropius baute neu auf alten Fundamenten, und es ging darum, sich mit dem Fagus-Werk als Inkunabel neuen Bauens im alten Kontext für das Weltkulturerbe zu bewerben – was auch erfolgreich war. 2014 zeigten wir diese Ausstellung auch im Rahmen der Biennale in Venedig. Unter dem Titel UMBAU. Nonstop Transformation haben wir den Appell an architektonische Gestaltungsqualität bei Umbau, Anbau und Weiterbau zehn Jahre später ebenfalls in Venedig anlässlich der Biennale vergangenes Jahr vertieft, weil wir angesichts der immer lauter werdenden Forderung nach klimaverträglicher, sparsamer und ökologisch rücksichtsvoller Bauweise die Gefahr der Vernachlässigung der unverzichtbaren Ästhetik, von architektonischer und sozialer Qualität fürchten.

Architektur war noch nie – und ist es heute erst recht nicht – eine freie Kunst. Denn sie ist und bleibt eine gebundene Auftragskunst, und ist zu rechtfertigen gegenüber der Gesellschaft.

Baukunst und Stadtbaukunst sind Schnittstellenkünste zwischen den unzähligen Erfordernissen verschiedener Disziplinen: ökologischer Rücksichtnahme, energetischer Sparsamkeit, wirtschaftlicher Machbarkeit, funktioneller Brauchbarkeit, rechtlicher Sicherheit, sozialer Verträglichkeit – und unverzichtbar – ästhetischer Schönheit. Der Architekt hat in den Ketten solcher Sachzwänge zu tanzen, und die Gesellschaft erwartet, dass er schön tanzt. Das Resultat soll eine Synthese eleganter Ausgewogenheit in Schönheit sein.

Die Ästhetik (die Wahrnehmung) der Schönheit, ist heute begrifflich in einen zweifelhaften intellektuellen Disput geraten. Viele meinen, sie sei nicht mehr eindeutig zu bestimmen. Dabei brauchte man sich doch nur an die bewährte Definition etwa des Kirchenvaters Thomas von Aquin zu halten, der die tradierte platonische Trias des Wahren, Guten und Schönen wie folgt definiert hat: Wenn das Wahre (also das rational Folgerichtige) mit dem Guten, also dem emotionellen Angebot humaner Güte zur Synergie verschmilzt, glänzt das Schöne auf.

Schönheit wird letztlich immer ethisch bestimmt, im Sinne von Immanuel Kant als ein interessiertes, sinnvolles Wohlgefallen. Zur rationalen Wahrhaftigkeit gehört als Voraussetzung heute mehr denn je das Ende der exzessiven Plünderung unserer Erde, ihrer fortschreitenden Vergiftung samt der Zerstörung ihres Klimas. Inzwischen sind die naive Fortschrittsgläubigkeit aus dem 19. und 20. Jahrhundert und der propagierte Glaube an das schadlose Plündern für angeblich notwendiges Wachstum unserer Gewissheit in Bezug auf deren katastrophale Folgen gewichen. Seit der Warnung des Club of Rome vor den Grenzen des Wachstums 1972 mussten mehr als fünfzig Jahre vergehen – die unglaublich lange Zeit zweier Generationen –, um die Folgen fortdauernder Plünderung und Vergeudung der Ressourcen unseres Planeten nicht nur gesellschaftlich wahrzunehmen, sondern sie auch politisch zu bekämpfen. Ich erinnere die fortgesetzten Warnrufe des CDU-Politikers und späteren Mitbegründers der Grünen Herbert Gruhl in seinem 1975 erschienenen Buch Ein Planet wird geplündert: eine Schreckensbilanz unserer Politik, das damals ungehört blieb. Diese Zeiten haben sich gottlob geändert. Das unvermeidliche und notwendige Umdenken führt uns Architekten und Stadtplaner zu den selbstverständlichen Tugenden früherer Generationen zurück: zur Generationenvorsorge der Erbbauern, dem Erbbaurecht; zum Nachhaltigkeitsdenken der Forstwirtschaft, das auf dem durchschnittlichen Baumwachstum von mindestens hundert Jahren basiert. (Fünf Jahre Abschreibungsfrist für Autos, 15 Jahre für Seeschiffe und dreißig Jahre für Immobilien sind die Grotesken eines Wachstumswahns, der einen sinnlosen Verbrauch schürt und Nachhaltigkeit torpediert.) Das trifft auch auf das auf mehrere Generationen angelegte Umbauen unserer gewachsenen europäischen Städte zu, die wir so lieben. Zu reparieren, instand zu halten, anzupassen, umzubauen und anzubauen, spart Ressourcen, bewahrt graue Energie und reduziert Bauschutt, das ist gut – wenn das in Schönheit gelingt, ist es noch besser. Seit 1965 baut unsere Architektensozietät in Stadt und aller Welt um. Seit fünfzig Jahren haben wir mit mehr als vierzig fertiggestellten Umbauten aller Art Erfahrungen gesammelt, immer in dem Bemühen, nicht nur die materielle und kulturelle Qualität des Bestandes für die neue und erweiterte Nutzung fortzuschreiben, sondern dabei auch den Genius Loci als bewahrte Tradition und die architektonische Gestaltungsqualität im Sinne von Carl Friedrich von Weizsäcker als fruchtbare Wechselwirkung von Tradition und Fortschritt. Dieser Tanz in den Ketten besonders der Umbausachzwänge und im baulichen Kontext wurde für uns die reizvollere Herausforderung. Sie ist interessanter als beim Neubau auf der Tabula rasa. Denn der Um- und Weiterbau im Bestand erfordern mehr flexible Fantasie und mehr spontane Kreativität, mehr Respekt vor vorgefundener und weiterzuführender historischer und ästhetischer Qualität und ganz besonders vor dem Genius Loci.

In den 1970er-Jahren begann das Umbauen bei uns in Hamburg mit der Transformation der Altonaer Fabrik, einer alten Munitionsfabrik, in das heute noch immer lebendige Kulturzentrum. Ein Wiederaufbau nach dem Brand, beim Innenausbau mit Abbruchmaterialien aus dem Hanseviertel, als reine Holzkonstruktion für den Hallenbau – und mit einem geretteten Kran von der abgerissenen Baggerfabrik Menck & Hambrock als Landmarke.

Es ging weiter mit der Rettung des Landhauses Michaelsen von Karl Schneider im Falkenstein, dem Umbau des Museums für Hamburgische Geschichte, dem Umbau einer Kaserne zum Hauptgebäude der Technischen Universität Hamburg, dem Umbau des Springer Quartiers und der Transformation des Baublocks am Alten Wall in ein lebendiges Innenstadtzentrum – alles Baudenkmale.

In Berlin kam das Olympiastadion dazu, in Peking das Nationalmuseum, in Bologna der Umbau von Pier Luigi Nervis Baudenkmal Manifattura Tabacchi in ein Forschungszentrum, in Dresden der Kulturpalast aus DDR-Zeiten, in Berlin das Pressehaus am Alexanderplatz und in Magdeburg die Hyparschale vom Ingenieur Ulrich Müther und die Stadthalle von Johannes Göderitz – ebenfalls Baudenkmale.

Auch in Shanghai wird neuerdings um- statt nur neu gebaut: Nach einem Wettbewerbserfolg wird aus einem 860 Meter langen Edelstahlwalzwerk eine Academy of Fine Arts.

Und nicht zuletzt ist in Hamburg gerade die Alsterschwimmhalle fertig geworden: auch sie unter Denkmalschutz als größte deutsche Schalenkonstruktion aus den 1960er-Jahren, entwickelt von Ingenieur Jörg Schlaich, dem Hamburg viele weitere markante Ingenieurkunstwerke verdankt – den Fernsehturm, das Glasdach über dem Innenhof des Museums für Hamburgische Geschichte, das Sicheldach über dem ZOB oder das Membrandach über dem Velodrom in Stellingen. Architektur ist immer eine gemeinschaftliche Leistung. Die vier in der Hamburger Ausstellung im Fokus stehenden Umbauten entstanden in den Teams unserer Partner Stephan Schütz mit Christian Hellmund in Berlin (Isarphilharmonie in München), von unserer Partnerin Magdalene Weiss in Shanghai (Academy of Fine Arts in Shanghai) sowie in Hamburg von Nikolaus Goetze mit Jan Blasko (Columbus Cruise Terminal Bremerhaven) und Marc Ziemons (Alsterschwimmhalle in Hamburg).

Abschließend noch ein Dank an unsere Galeristin Kristina Bacht, an deren Sponsoren und besonders an unser Ausstellungsteam mit Marta Busnelli, Heidi Knaut, Amran Salleh und Cornelia Schwarte, das unter der Leitung von Detlef Jessen-Klingenberg wieder umgebaut, angebaut und gezaubert hat.